Generalstreik 1918

Aus Wiki der Stadt Grenchen
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Info - In Arbeit.jpg

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die verdrängte Tragödie von Grenchen: Offene Worte folgen erst nach einem halben Jahrhundert

Der Generalstreik von 1918 stellt einen der grossen Wendepunkte der Schweizer Geschichte dar. Es gibt für die moderne Schweiz nur zwei solche Ereignisse, das eine haben wir eben ein Jahr lang gefeiert - nämlich 1848 und die Gründung des Bundesstaates -, das zweite ist der Landesstreik. Es handelt sich sozusagen um ein negatives Pendant zu 1848: 1848 setzten sich die progressiven Kräfte durch, 1918 dagegen wurde der Fortschritt abgeblockt. Damit ist auch gesagt, was heute kein Historiker mehr bestreitet: Der Landesstreik war kein bolschewistischer Revolutionsversuch, sondern eine soziale Bewegung, die politische Veränderungen forderte und gegen grosse Not protestierte.

Prof. H. U. Jost, Lausanne


Am Donnerstag, den 14. November 1918, erschossen Truppen der Schweizer Armee in Grenchen drei Menschen. Das geschah anlässlich des Generalstreiks 1918. Bei den Opfern handelt es sich um drei junge Männer namens:

Übersichtsplan
Restaurant Sonne, Solothurnstrasse, Grenchen (abgerissen 1972, heute Coop City Hochhaus) Im Gässchen rechts neben dem Restaurant wurden die drei jungen Männer von hinten und aus nächster Nähe erschossen.
Marius Noirjean
17-jährig, Remonteur, wohnhaft im Unterdäderiz, aus Monfaucon gebürtig. Sein Vater Vital war vor sechs Jahren aus Tramelan nach Grenchen übersiedelt, wo er als Schalenmacher in der Firma Schmitz Frères
Hermann Lanz
29-jährig, Schraubenmacher in der Eterna, aus Rohrbach gebürtig, wohnhaft an der Kastelsstrasse 5, wo sein Vater einen Hof bewirtschaftete; Hermann hinterliess ausser seiner Mutter einen Bruder und fünf Schwestern. Er hatte sich an der Demonstration nicht aktiv beteiligt.
Fritz Scholl
21-jährig, Décolleteur in der Eterna, wohnhaft in Pieterlen, Sohn eines Uhrmachers, der nebenberuflich eine kleine Landwirtschaft betrieb und auf den Verdienst seines Sohnes angewiesen war. Am Unglückstag schickte ihn die Mutter nach Grenchen, damit er im Eisenladen einen Bestandteil für die Nähmaschine und in der Apotheke Hustensirup für seine Geschwister besorge.

Es geht mir mit dieser Dokumentation darum, einen Vorfall aus der Geschichte Grenchens und der Schweiz abzubilden, dessen Ursachen und Hergänge nie korrekt abgeklärt und untersucht, geschweige denn historisch-öffentlich bewältigt wurden. So fehlt in Grenchen noch immer eine Gedenkseinrichtung für die Toten und für diese schwierige Zeit der schweizerischen und einheimischen Arbeiterschaft. Den Toten haftet nach wie vor die Schuld an, für ihr Schicksal selber und allein die Verantwortung zu tragen. Der Bundesrat lehnte damals die Entschädigung der Hinterbliebenen und Verletzten ab. Innerer Parteizwist der Sozialdemokraten lenkte unmittelbar danach vom Gedenken an die Toten ab. Die schweizerische Oeffentlichkeit hat es bis heute versäumt, die Grenchner Opfer des Landesstreiks zu rehabilitieren.

Ich bin in Grenchen als Sohn einer Arbeiterfamilie aufgewachsen und kann mich nicht erinnern, während meiner Schulzeit in Grenchen (1952-1964 inkl. Kaufm. Lehre) je ein Wort aus dem Munde einer Lehrkraft zum Thema Generalstreik in Grenchen gehört zu haben. In jenen Tagen waren die traumatischen Vorkommnisse während des Generalstreiks 1918 in Grenchen noch nicht bewältigt, weder emotional noch politisch.

Selbst in den beiden populären Grenchner Heimatbüchern von Werner Strub (1949) und Kaufmann/Zurschmiede (1974) werden die Namen der Toten nicht erwähnt und das blutige Ereignis wird eher armeefreundlich bewertet. Hingegen schimmert bei beiden Autoren Verständnis durch für die Anliegen der Arbeiterschaft, dies besonders bei Werner Strub.

Bei der Durchführung des Generalstreiks 1918 in Grenchen spielte der Streikführer Max Rüdt eine zentrale Rolle. Schliesslich musste er als Sündenbock für alles Negative herhalten. Die Tätigkeit von Max Rüdt wird in dieser Dokumentation besonders gewürdigt. Viele negative Punkte aus seiner Grenchner Biografie verschwinden denn auch. Max Rüdt ist im Jahre 1947 in St. Gallen mit 58 Jahren mittellos verstorben.

Unmittelbar nach dem Generalstreik trat ein Mensch in Erscheinung, der selbst heute noch als Vorbild gelten kann. Es war dies der junge reformierte Pfarrer Ernst Hubacher, der in jenen schwierigen Tagen mit grossem Mut und Zivilcourage handelte und an der Beerdigung von Hermann Lanz eine weithin beachtete Grabrede hielt. Hubacher trat immer wieder ein für die Schwachen und Benachteiligten. Sein Freund, Walter Lüthi, schrieb im Nachruf auf Hubacher: "Und wenn sonst erfahrungsgemäss der Mensch von Kultur und Bildung gesellschaftlich eher nach oben neigt, dann war es bei Ernst Hubacher umgekehrt: Das Evangelium der Armen und Entrechteten gab seiner Verkündigung das Gefälle der Parteinahme nach unten."

Auch die rechtlichen bzw. gerichtlichen Folgen der Ereignisse während des Generalstreiks 1918 in Grenchen sollen kurz dokumentiert werden. Immerhin wurden die Streikaktivisten z.T. vor zwei Gerichte gestellt: Vor das Amtsgericht Solothurn-Lebern für die strafrechtlichen Belange wie auch vor das Territorialgericht 4 für die Vergehen gegen die Verordnung des Bundesrates vom 11. November 1918.

Ferner ist es ein Hauptanliegen der Dokumentation, die Aufarbeitung des Themas durch verschiedene Autoren zu vermitteln. Dank dem Verständnis der Autoren darf ich in dieser Dokumentation zahlreiche Texte über die Streikereignisse in Grenchen im Volltext publizieren.

Einen Schritt in die richtige Richtung unternimmt der Grenchner Stadtpräsident und Nationalrat Boris Banga mit seiner beachtlichen und sehr deutlichen Rede vom 11. Nov. 1998: 80 Jahre Generalstreik - 12. - 14. November 1918.

Eine Passage aus der Rede von Boris Banga lässt aufhorchen und hoffen zugleich:

"Selbst eine Erinnerung an die drei unschuldigen Todesopfer fehlt. Der von der Arbeiterunion 1918 (Vereinigung von Gewerkschaft, Partei und Sportvereinen) gestiftete, auffallend grosse [[#Der verschwundene Gedenkstein für die Grenchner Opfer des Generalstreiks 1918 | Granitgrabstein]] für Hermann Lanz, Marius Noirjean und Fritz Scholl verschwand zwischen 1948 und 1950 bei der Räumung des entsprechenden Gräberfeldes. Meines Erachtens wäre es an der Zeit, der unschuldigen Toten zu gedenken, weil sie nicht vergebens gestorben sind. "

Es darf nicht vergessen werden, dass der Generalstreik 1918 zeitlich in die schlimmste Phase der Grippeepidemie von 1918 fällt. Der Bevölkerung der Schweiz und Grenchens brachte diese Krankheitswelle grosses Leid in einer Zeit des Hungers, der Teuerung und des sozialen Elends.

Neben den Streikenden und ihren Organen spielten im Generalstreik / Landesstreik 1918 auch die Schweizer Armee und die Regierungsbehörden auf verschiedenen Ebenen eine Hauptrolle. Zur Geschichte der Uniformen und Ausrüstung der Armee sei hier auf die sehr interessante armeegeschichtliche Seite "Rost und Grünspan - Schweizer Militärgeschichte neu belebt"[1] hingewiesen. Ferner soll versucht werden, die Vorgeschichte des Generalstreiks / Landesstreiks 1918 in der Region Grenchen in kurzer Form darzustellen.

Alfred Fasnacht

Vorgeschichte unter Berücksichtigung der Verhältnisse in der Region Grenchen

Vorbemerkung: Mit den folgenden Aufzeichnungen versuche ich, in Kurzform die Lage der Arbeiterschaft im Oberleberberg darzustellen in den Kriegsjahren 1914-1918 bis zum Ausbruch des Landesstreiks / Generalstreiks. Die Arbeiterschaft sah sich einer geschlossenen Front der Unternehmer und des Besitzbürgertums gegenüber. Die Unternehmer hatten die Staatsgewalt und das Recht bislang zum grossen Teil auf ihrer Seite. Die Arbeiterschaft musste um ihre elementarsten Rechte und um ihre Existenz kämpfen, dies mit Rückschlägen und unter Schikanen aller Art. Leid und Elend galt es durchzustehen, bis die jahrelangen Kämpfe der Arbeiter um eine menschenwürdige Existenz langsam begannen, Früchte zu tragen. Die Kriegsjahre 1914-1918 und der anschliessende Generalstreik / Landesstreik im November 1918 bilden äusserst wichtige Meilensteine auf dem Weg in die Richtung eines schweizerischen Sozialstaats.

Alfred Fasnacht


1869 Erster Streik in Grenchen. Société d'horlogerie de Granges. Die Arbeiter waren noch nicht gewerkschaftlich organisiert, denn erst in diesen Jahren formierten sich im Kanton Solothurn die ersten Arbeiterorganisationen. Die Grütlisektion Grenchen wurde z.B. erst im Jahre 1872 gegründet. Nach einer zehntägigen Arbeitseinstellung erhielten die Streikenden eine Lohnerhöhung zugebilligt.

Streiks in Grenchen vor dem Generalstreik 1918

1887 Lohnreduktion 25 % bei der Société d'horlogerie. Am 7. Oktober treten 200 Arbeiter in den Streik, der von der Reservekassekommision gutgeheissen wurde. Am 2. November wird die Arbeit wieder aufgenommen. Ein Schiedsgericht erklärte die Lohnreduktion als unzulässig.
1889 Ende Jahr treten die Uhrenarbeiter im Jura in den Streik. Der Streik war erfolgreich: 15 % Lohnerhöhung.
1892 22 Uhrenfabrikanten erliessen einen Anschlag, wonach die Visiteure nicht mehr den Gewerkschaften angehören durften. Darauf legten 54 Mann der Partie die Arbeit nieder. Die ganze Uhrenarbeiterschaft wurde mobil gemacht, um für das Vereinsrecht ihrer Kollegen einzustehen. Abgeordnete der Kantonsregierung und der Adjunkt des Schweizerischen Arbeitersekretariats bewirkten schliesslich die Anerkennung des Vereinsrechts der Visiteure.
1894 Uhrenarbeiterinnenstreik in Bettlach (Februar/März).
1895 März - Mai. Wegen zwei Streikbrecherinnen in Bettlach, die deswegen vom Arbeitervorstand mit Fr. 200.-- gebüsst wurden, erhielten am 23. März in 4 Fabriken in Grenchen rund 1000 Arbeiter die Kündigung. Einen Monat später sperrte auch die Uhrenfabrik Langendorf ihre organisierten 300 Arbeiter aus. Die Aussperrung dauerte bis am 15. Mai. Vermittlung des Regierungsrats, Erfolg für die Arbeiterorganisation, der jedoch von kurzer Dauer war.
1895 Oktober - November: Uhrenmacherstreik. 13 Arbeiter wehrten sich gegen den Einkaufszwang im Fabrikmagazin (teure Lebensmittel) und gegen die Verletzung der Tarifverträge. Der Streik verlief erfolglos und wurde sehr hart geführt.
1900 Oktober: Schalenmacherstreik in Grenchen. Einführung des 10 Stundentages. Der Streik war schon nach zwei Tagen erfolgreich.
1912 Juni/Juli: Schreinerstreik in Grenchen. 33 Streikende. 13 Tage. Vermittler Ammann Luterbacher. Einführung des Zehnstundentages.
1913 August/September: Tunnelarbeiterstreik in Grenchen und Moutier. 1700 Streikende, 24 Tage. Truppenaufgebot. Grund: Aussperrung organisierter Arbeiter. Der Streik war teilweise erfolgreich: 27 Arbeiter blieben ausgesperrt. Grosse Sympathiekundgebung der Arbeiterschaft in Grenchen. Militäraufgebot des Regierungsrats: eine Kompanie marschiert am 22. Sept. 1913 mit aufgepflanzten Bajonetten und scharf geladenen Gewehren durch Grenchen.
1914 Februar-Mai: Die grosse Aussperrung im Oberleberbergg. Rund 2000 Arbeiter werden ausgesperrt. Einmal mehr ging es um die Anerkennung der Arbeiterorganisationen. Teilerfolg: Anerkennung der Gewerkschaft durch die Fabrikanten, es wurden jedoch nur etwa die Hälfte der Ausgesperrten wieder eingestellt. Grosse Not für die arbeitslos bleibenden Ausgesperrten.

Vorgeschichte zum Generalstreik 1918 in der Region Grenchen

Bevölkerungswachstum zwischen 1910 und 1941.

Die in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Grenchen angesiedelte Uhrenindustrie entwickelte sich sehr rasch und war bekannt für ihre innovative Kraft wie auch für die Produktequalität. Das hatte auf der anderen Seite einen starken Zuzug von Arbeitern mit ihren Familien aus der ganzen Schweiz zur Folge. Die Einwohnerzahl der Gemeinde schnellte in die Höhe und die Probleme einer Industriesiedlung des frühen 20. Jahrhunderts entstanden: Soziale Probleme, Wohnungsnot, Versorgungsengpässe aller Art, Arbeitskämpfe. Früh schon begannen sich die Arbeiter zu organisieren, zwischen 1870 und 1880.

Im Jahre 1890 gründete man an der Delegiertenversammlung der solothurnischen Grütli-Vereine die Solothurnische Arbeiterpartei (Sozialdemokratische Partei des Kantons Solothurn). 1895 erreichte die Solothurnische Arbeiterpartei ein wichtiges Ziel: die Einführung des Proporzes. Damit hielten die Sozialdemokraten als eigenständige Partei 1896 erstmals Einzug ins Kantonale Parlament. Eine starke, in der ganzen Schweiz bekannte Arbeiterbewegung entstand in Grenchen und im Oberleberberg.

Der Kanton Solothurn gehörte mittlerweilen zu den am meisten industrialisierten Kantonen der Schweiz. Die Bevölkerungsstatistik für die Jahre 1910-1941 belegt diese Tatsache: Der Kanton Solothurn an 2. Stelle. Nach 191 folgt eine über zwei Jahrzehnte währende Periode kräftigen Wirtschaftswachstums, das nicht nur den Stadtkantonen sondern auch Industriezentren wie Zürich und Solothurn ein sehr hohes Bevölkerungswachstum beschert.

Die lange Liste der Streiks, die vor dem Landesstreik / Generalstreik 1918 in Grenchen stattfanden, bezeugt eindrücklich die sozialen Spannungen im schnell gewachsenen Industrieort. Die Serie der Kampfmassnahmen reiht sich auf bis zur zweiten grossen Aussperrung im Oberleberberg im Jahre 1914, die wohl politisch und emotional zurückzuführen ist auf die Sympathiekundgebung für die streikenden italienischen Tunnelarbeiter ( Grenchenberg-Tunnel, 1913) in Grenchen. An der Sympathiekundgebung in Grenchen nahmen ungefähr 2000 Personen teil. Diese Demonstration der Solidarität unter den Arbeitern und den weiteren Verlauf des Streiks deutete die Solothurner Regierung als den Beginn eines Generalstreiks, worauf man eine Kompanie aufbot, die am 22. September 1913 mit aufgepflanzten Bajonetten und scharf geladenen Gewehren durch Grenchen marschierte. Die Ursache des Tunnelarbeiterstreiks war die Aussperrung organisierter Arbeiter. Kurz nach der Militäraktion konnte der Streik beigelegt werden.

Die grosse Aussperrung

Protestkundgebung vom 3. Mai 1914 in Solothurn gegen die Ausperrung. Mehr als 7000 Teilnehmer.
Die Aussperrungsküche Grenchen.
Protestkundgebung vom 3. Mai 1914 in Solothurn gegen die Ausperrung. Mehr als 7000 Teilnehmer.

Bei der Aussperrung (1914) in Grenchen ging es offensichtlich den Uhrenfabrikanten darum, die Organisationen und Vereine der Arbeiterschaft zu schwächen oder doch mindestens die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiter zu verunmöglichen. Die Aktion war vorbereitet. So sperrten die Fabrikanten am 7. Februar 1914 mit vorgedruckten Kündigungszetteln rund 2000 organisierte Arbeiter aus. Die Aussperrung dauerte etwa drei Monate und war begleitet durch beispielhafte Solidaritätsbezeugungen unter der Arbeiterschaft und ihren Organisationen. Einmal mehr sah sich die Kantonsregierung veranlasst, zwei Kompanien auf Pikett zu stellen, um vermeintlichen Ausschreitungen vorzubeugen. So berichtet Walter Kräuchi wie folgt über die grosse Aussperrung:

"Für die ausgesperrten Arbeiter wurde gesammelt. Die Gewerkschaft zahlte ihnen eine bescheidene Unterstützung aus. Dafür hatte sie sogar ein Darlehen beim Deutschen Gewerkschaftsbund erhalten. Ueber 200 Kinder der Ausgesperrten wurden in Arbeiterfamilien im Kanton verteilt. Am 3. Mai 1914 rief die Sozialdemokratische Partei des Kantons Solothurn zu einer Protestdemonstration nach Solothurn auf. 7264 Teilnehmer, 9 Musikkorps und 83 Fahnen wurden an dieser machtvollen Protestdemonstration gegen das Verhalten der Uhrenfabrikanten gezählt. Diese Demonstration der Solidarität gab einigen bürgerlichen Scharfmachern doch zu denken, und die Unternehmer liessen sich auf Verhandlungen ein. (...) am 8. Mai 1914 wurde zwischen der Fabrikantenvereinigung und den Arbeitnehmern ein Friede geschlossen, nach welchem die Fabrikanten die Arbeitnehmerorganisation, die Gewerkschaft, anerkannten"

Die drei Monate dauernde Ausperrung endete mit einem Teilerfolg der Arbeiterschaft, denn von den rund 2000 Ausgesperrten wurde nur etwa die Hälfte wieder eingestellt. Die Unternehmer anerkannten nun die Gewerkschaft der Uhrenarbeiter. Die Tatsache, dass organisierte Arbeiter immer wieder Probleme mit ihren Arbeitgebern hatten, blieb jedoch noch jahrelang bestehen. Mit dem Beginn des Weltkrieges und der Mobilmachung der Armee am 1. August 1914 musste die Gewerkschaftskasse die Zahlungen an die arbeitslosen Ausgesperrten einstellen. Die Folgen für diese Arbeitslosen waren katastrophal.

Die Wunden dieser Ausperrung blieben auf beiden Seiten, bei der Arbeiterschaft wie bei den Fabrikanten, unverheilt. Die Stimmung blieb explosiv, auch während der Kriegsjahre und bis nach dem Landesstreik / Generalstreik 1918.

Die Situation während des Weltkrieges 1914-1918

Unmittelbar vor dem ersten Weltkrieg unterzogen sich die Sozialdemokraten dem sogenannten Burgfrieden. Sie hiessen zusammen mit den bürgerlichen Parteien die militärischen Massnahmen zur Verteidigung der Schweiz gut und verzichteten für die Dauer des Krieges auf politische und gewerkschaftliche Kampfmassnahmen. Mit diesem aus heutiger Sicht wohl richtigen Zugeständnis schwächte sich die Arbeiterschaft erheblich. Der Burgfriede wurde jedoch von beiden Seiten öfters gebrochen. Durch den Aktivdienst waren die meisten Sektionen der Arbeitervereinigungen und der Sozialdemokratischen Partei personell ausgetrocknet, die führenden Köpfe standen an der Grenze. Kriegsgewinnler und Spekulanten der schmutzigsten Art griffen auch im Kanton Solothurn um sich. Gleichzeitig wuchs das Elend und die Not der völlig wehrlosen Arbeiterfamilien. Eine Lohnausfallentschädigung während des Militärdienstes gab es nicht. Gleich zu Beginn des Krieges setzte der Bundesrat die wichtigsten Bestimmungen des Fabrikgesetzes ausser Kraft. Lohnkürzungen, unentschädigte Ueberstunden, Sonntags- und Nachtarbeit waren die Folge. In der Grenchner Uhrenindustrie führte man erneut den 11-Stundentag ein. Der Minimallohn eines Arbeiters belief sich im Jahre 1915 auf Fr. 3.50 pro Tag.

Die Arbeiterschaft lieferte sich gezwungenermassen der Willkür von Armee und Behörden aus. Sehr oft waren Arbeiter im Wehrkleide den Demütigungen ihrer militärischen Vorgesetzten ausgesetzt. Wer aufbegehrte, riskierte drakonische Strafen. Die Versuche, sich gegen diese Zustände zu wehren, blieben ohne Erfolg und wurden durch die bürgerliche Presse immer wieder als bolschewistische Wühlarbeit dargestellt. Erst die 1917/1918 aufkommenden kritischen Soldatenvereine (z.B. der von Walther Bringolf geleitete Schweizerische Soldatenbund) fanden etwas Beachtung und hatten gewisse Erfolge zu verzeichnen. Armeeführung und bürgerliche Presse jedoch bekämpften diese Organisationen unaufhörlich. General Wille[2] beantragte dem Bundesrat sogar, die Soldatenvereine zu verbieten.

Jean-Maurice Lätt beschreibt die unsägliche Lage der Arbeiter wie folgt:

"Unter der Arbeiterschaft machte sich grosses Elend breit, verstärkt durch das Fehlen einer Lohnausfallentschädigung während des Militärdienstes, durch Arbeitslosigkeit und durch eine wachsende Wohnungsnot. Im Oktober 1918 zählte man in der Stadt Solothurn 73 obdachlose Familien; ganz krass war die Wohnungsnot auch in den Industriegemeinden des Wasseramtes, vor allem in Biberist. Arbeitssuchende nahmen in ihrer Not jedes Angebot an, auch dasjenige der berüchtigten kurzlebigen Munitionsfabriken (wie die Munitionsfabrik Trimbach), die von der Hochkonjunktur auf dem Munitionssektor uneingeschränkt profitieren und in kürzester Zeit höchste Gewinne erzielen wollten.

Die Kantonal- und Gemeindebehörden reagierten sehr spät mit punktuellen Fürsorgemassnahmen: Abgabe von verbilligten Kartoffeln, von verbilligtem Brennholz, in grösseren Gemeinden Schaffung von Notunterkünften für die Obdachlosen, von Volksküchen für die Verpflegung der Bedürftigen. Gemeinden mit starker sozialdemokratischer Vertretung gingen voraus, wie etwa die Gemeinde Grenchen im sozialen Wohnungsbau. Angesichts der Riesengewinne der Unternehmer und ihrer Aktionäre, angesichts des Schieber- und Wuchertums, das sich im ganzen Lande breitmachte, wuchs jedoch die Unzufriedenheit der unteren Bevölkerungsschichten, und es wuchs auch die Ueberzeugung, dass man mit solchen Fürsorgemassnahmen keine Probleme lösen könne, dass viel radikalere Massnahmen nötig seien, dass an einem Wirtschaftssystem, welches solche Ungerechtigkeiten zulasse, etwas grundsätzlich faul sein müsse."

Die Auswirkungen auf die Gesundheit der Arbeiter und ihrer Familien blieben nicht aus. Neben gesundheitlichen Problemen verursacht durch chronische Unterernährung, gehörten immer wieder epidemieartige Krankheitswellen zum Alltag in den Arbeiterquartieren. Die Tuberkulose als Todesursache lag bei den Arbeitern weit über dem Landesdurchschnitt. Diese traurigen Tatsachen gehörten schon vor dem Weltkrieg zum Arbeiteralltag. Durch den Mangel an Lebensmitteln und deren Rationierung im Krieg verschlimmerte sich die Ernährungslage zusätzlich.

Nicht zuletzt diese sozialen und politischen Spannungen waren es, welche die SPS dazu brachten, auf den Zimmerwalder-Kurs, eine konsquent linksradikale Linie, einzulenken. Diese Kursänderung beschloss man am ausserordentlichen Parteitag der SPS vom 9./10. Juni 1917 in Bern. Damit war der Burgfriede endgültig gebrochen.

Solothurnische Sozialdemokratie und Gewerkschaften während des Krieges 1914-1918

In den Kriegsjahren nahm die Lebensmittelteuerung erschreckend zu. Die Grundnahrungsmittel verteuerten sich zwischen 1914 und 1917 um über hundert Prozente, zum Teil sogar um mehrere hundert Prozente. Die SP Schweiz und der Gewerkschaftsbund verlangten im Jahre 1915 energische Massnahmen von den Behörden und vom Bundesrat, der bekanntlich mit Sondervollmachten ausgestattet war: Wiederinkraftsetzung des Fabrikgesetzes, Stundung der Mietzinsforderungen, Festsetzung von Höchstpreisen und Mindestlöhnen sowie eine zentrale Kriegswirtschaftspolitik. Die notleidende Bevölkerung schenkte ihr Vertrauen in zunehmenden Masse der SP und den Gewerkschaften als den einzigen Kräften, die für die ihre Interessen eintraten. Die Mitgliederbestände von Partei und Gewerkschaften stiegen rasch an. Die Mitgliederzahl der solothurnischen Kantonalpartei verdoppelte sich während des Krieges von 1500 auf etwa 3000 Mitglieder. Der Mitgliederbestand der dem kantonalen Gewerkschaftskartell angeschlossenen Gewerkschaften erhöhte sich von 5'230 auf rund 14'000.

Ein Lichtblick für die SP waren die Kantonsratswahlen im Jahre 1917. Der Freisinn verlor erstmals seit 1830 das absolute Mehr. Die SP gewann 14 Sitze und belegte nun deren 38 im Kantonsrat. Auch die Volkspartei gewann einen Sitz dazu und kam auf 41 Sitze, während die Freisinnigen 15 Sitze verloren und nur noch 68 Mandate inne hatten. Nach einer Kampfwahl wählte der Souverän zudem den Sozialdemokraten Hans Affolter als ersten SP-Regierungsrat des Kantons.

Dieser Wahlerfolg stärkte das Selbstgefühl der Sozialdemokratischen Partei. Drei Punkte des Programms sollten möglichst rasch zur Behandlung gelangen (man schrieb das Jahr 1917!):

  • Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts
  • Schaffung einer Alters- und Invalidenversicherung
  • Steuerbefreiung für Einkommen unter Fr. '2000.- jährlich

Am Anfang des Krieges verunmöglichte die Situation auf dem Arbeitsmarkt gewerkschaftliche Kampfmassnahmen. Im August 1917 fand ein erfolgloser Streik in der Zellulosefabrik Attisholz statt. Erst im letzten Kriegsjahr gelang es den stets aktiven Gewerkschaften und ihren Funktionären, eine erfolgreiche Lohnbewegung in Gang zu setzen. Diese erfolgreiche Bewegung war einerseits zurückzuführen auf die Stärkung der Gewerkschaften durch massiven Mitgliederzuwachs in den Kriegsjahren und anderseits auf die harte Arbeit der Funktionäre wie z.B. Arthur Stämpfli (Sekretär des SMUV Grenchen, von 1919-1933 Grenchner Stadtammann), Adolf Hess (Gewerkschaft der Papierfabrik Biberist) und dem mutigen, jungen Metallarbeitersekretär Walter Heiniger in Gerlafingen.

Nicht unerwähnt bleiben darf die Gründung des kantonalen Arbeitersekretariats in Solothurn im Jahre 1917. Gründer waren die SP und die Gewerkschaften. Der erste kantonale Arbeitersekretär war Adolf Lienhard, der in Personalunion die Funktionen eines Partei- und eines Gewerkschaftssekretärs inne hatte. Neben der Förderung der Partei- und Gewerkschaftsorganisationen und der Abklärung sozialpolitischer Fragen bestand die Sekretariatsarbeit vor allem in der Beratung der werktätigen Bevölkerung. Das Arbeitersekretariat konsultierte man in persönlichen und in arbeitsrechtlichen Fragen. Die Eröffnung des Sekretariats fand am 1. Januar 1917 statt. Das erste Büro des Arbeitersekretariats befand sich im Hinterhaus des Volkshauses, Hotel Falken, in Solothurn.

Max Rüdt, Redaktor des Grenchner Lokalteils der Neuen Freien Zeitung, wird 1917 zum Entsetzen der bürgerlichen Parteien Grenchner Gemeinderat und Kantonsrat.

Was löste den Generalstreik aus?

Es wäre wohl kaum zum Landesstreik / Generalstreik 1918 gekommen, ohne die Provokationen seitens des Bundesrates, der unter dem Druck der Bauern, der Unternehmer, der bürgerlichen Parteien und vor allem der Armeeführung stand. Diese betrachteten alle Kundgebungen gegen die soziale Not als subversiv. Man verlangte ein scharfes Vorgehen gegen alle umstürzlerischen Aktivitäten und Elemente. Ferner gaben die Staaten der Entente zu verstehen, dass sie in keinem angrenzenden Staat eine sozialistische Revolution tolerieren würden.

Zur weiteren Verschärfung der Lage trug der Bundesrat in grossem Masse bei, als er im Januar 1918 eine Vorlage präsentierte, welche vorsah, die Zivildienstpflicht für die ganze Bevölkerung zwischen 14 und 60 Jahren einzuführen. Nicht zu unrecht befürchtete man, dass die zivildienstleistende Bevölkerung der Armeeführung unterstellt würde. Der Zivildiensteinsatz war vorgesehen für die Bereiche Landwirtschaft und Industrie. Die Organisationen der Arbeiterschaft reagierten heftig und voller Zorn gegen diese Form der Zwangsarbeit und Militarisierung. Begleitend zur Zivildienstvorlage mobilisierte der Bundesrat zusätzlich zu den Truppen im Aktivdienst weitere 6'000 Mann, um Unruhen vorzubeugen.

Am 2. Februar 1918 nahm in Grenchen ein zahlreiches Publikum an einer Protestversammlung teil. Max Rüdt, Redaktor, und Pfarrer Jules Humbert-Droz aus La Chaux-de-Fonds hielten Reden. In einer Resolution drohte man mit dem Landesstreik. Einige Tage später hielt Robert Grimm[3] in Olten ebenfalls eine Protestrede vor rund 600 Zuhörern.

Schlag auf Schlag jagten sich nun die Ereignisse, die schliesslich zum Landesstreik führten:

  • Gründung des Oltener Aktionskomitees im Februar 1918.
  • Verhaftung von Willi Münzenberg und Verbot der Zeitungen der Freien Jugend anfangs März 1918.
  • Die Parteibasis der Sozialdemokraten verlangte von der Parteiführung mehr Taten statt Worte
  • Die Grenchner SP-Frauen verlangten ein "Fahrwasser, in welchem der Sozialismus nicht nur in Worten, sondern auch in Taten bestehen soll."
  • Der schweizerische Arbeiterkongress in Basel (27./28. Juli 1918) erteilt dem Oltener Aktionskomitee die Vollmachten, einen Landesstreik vorzubereiten, wenn nötig auszurufen und durchzuführen.
  • Im Juli 1918 beginnt die Grippeepidemie (Spanische Grippe), die in den Monaten Oktober - Dezember 1918 ihren Höhepunkt erreicht.
  • Am 5. November 1918 beschloss der Bundesrat wegen Arbeiterdemonstrationen die militärische Besetzung von Zürich.
  • General Wille[2] übergibt das Kommando der Ordnungstruppen in Zürich an Oberstdivisionär Emil Sonderegger.
  • Mit einem Pressebulletin vom 8. November 1918 teilte der Bundesrat seinen Beschluss mit, jeden Verkehr mit der Sowjetmission (Leitung: J. A. Berzin) in Bern abzubrechen und diese einzuladen, die Schweiz zu verlassen.
  • Absetzung des Deutschen Kaisers Wilhelm II am 9. November 1918, Novemberrevolution in Deutschland.
  • Auf das Truppenaufgebot in Zürich antwortete das Oltener Aktionskomitee mit dem Ausruf eines eintägigen Proteststreiks in 19 Ortschaften, darunter auch Grenchen, für Samstag, den 9. November 1918.
  • In Zürich wird dieser Proteststreik verlängert bis zum Abzug der Truppen, also auf unbestimmte Zeit.
  • #Das Oltener Aktionskomitee versuchte mit dem Bunderat über den Abzug der Truppen zu verhandeln.
  • Die Armeeleitung drängte den Bundesrat, es auf eine Kraftprobe ankommen zu lassen. Der Bundesrat brach die Verhandlungen mit Oltener Aktionskomitee ab.
  • Damit wurde das Oltener Aktionskomitee gezwungen, den Landesstreik auszurufen, wollte es seine Glaubwürdigkeit bei der Arbeiterschaft bewahren.
  • #Das Oltener Aktionskomitee rief den Landesstreik am Montag, den 11. November 1918, aus mit Streikbeginn am Dienstag, den 12. November 1918. Die neun historisch richtungsweisenden Forderungen des Landesstreiks / Generalstreiks 1918 lauteten:
  1. Sofortige Neuwahl des Nationalrats auf Grundlage des Proporzes
  2. Aktives und Passives Frauenwahlrecht
  3. Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht
  4. Einführung der 48stundenwoche in allen öffentlichen und privaten Unternehmungen
  5. Reorganisation der Armee im Sinne eines Volksheeres
  6. Sicherung der Lebensmittelversorgung im Einvernehmen mit den landwirtschaflichen Produzenten
  7. Alters- und Invalidenversicherung
  8. Staatsmonopole für Import und Export
  9. Tilgung der Staatsschulden durch die Besitzenden

Das Oltener Aktionskomitee

Geschichtliche Ausgangslage

Ende des Jahres 1917 plante der Bundesrat eine Vorlage über die Einführung der Zivildienstpflicht. Zur Produktionssteigerung schlug das Volkswirtschaftsdepartement dem Bundesrat vor, alle in der Schweiz wohnenden Personen vom 14. bis 60. Altersjahr zum zivilen Hilfsdienst aufbieten zu können. Die Aufgebotenen sollten eingesetzt werden "zur Bestellung der von öffentlichen Gemeinwesen bebauten Grundstücke, sowie zur Einbringung der Ernte und zur Durchführung von Bodenverbesserungen".

Dieses Vorhaben wurde von den Organisationen der Arbeiterschaft und der SPS entschieden abgelehnt. Nicht zu Unrecht befürchtete man, dass die Arbeiter militarisiert, zwangsweise zu zivilen Arbeiten abkommandiert wie auch dem Befehl der Armee und der Militärjustiz unterstellt werden könnten. Demzufoge fanden in der ganzen Schweiz Protestversammlungen statt, wo oft scharfe Resolutionen gefasst wurden. In einer Delegiertenversammlung der Züricher Arbeiterunion vom 29. Januar 1918 forderte man die Geschäftsleitung der SPS und den Schweizerischen Gewerkschaftsbund auf, ein scharfes Ultimatum an den Bundesrat zu stellen, das bei Nichterfüllung innert 24 Stunden mit der Proklamation des Landesstreiks drohte.

Diese Anträge, die noch von den Instanzen des Gewerkschaftsbundes und der SPS beraten werden sollten, wurden von der bürgerlichen Presse bereits als Ultimatum an die Adresse des Bundesrates empor stilisiert. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund und die SPS waren überhaupt nicht mit den radikalen Forderungen der Zürcher einverstanden.

Aufgeschreckt durch entsprechende Pressemeldungen über die ultimativen Forderungen aus Zürich erliess der Bundesrat ein Truppenaufgebot, das er wie folgt begründete: "die allgemeine äussere und innere Lage" lasse es ihm als notwendig erscheinen, die zurzeit für den Grenzschutz aufgestellten Truppen durch Bildung einer Reserve zu verstärken. Das Truppenaufgebot umfasste etwa 6'000 Mann. Es war selbstverständlich, dass die schweizerische Arbeiterschaft dieses Säbelrasseln als gegen sich gerichtet einstufte.

Das Oltener Aktionskomitee

Die Gründung des Oltener Aktionskomitees ist auf die Initiative von Robert Grimm[4] zurückzuführen. Alarmiert durch das Truppenaufgebot lud Grimm von sich aus einige einflussreiche Partei- und Gewerkschaftsführer auf den 1. Februar 1918 zu einer Zusammenkunft nach Bern ein, um die neue Situation zu beurteilen. Die von Grimm zusammengerufene Konferenz beschloss, auf Montag, den 4. Februar 1918, die Geschäftsleitung der SPS, des Gewerkschaftsbundes, der Nationalratsfraktion und die Parteipresse zu einer Sitzung in das Volkshaus Olten einzuberufen. Ueber diese Oltener Konferenz vom 4. Februar 1918 wurde die Oeffentlichkeit durch eine Proklamation "An die Arbeiterschaft" informiert. Es handelt sich dabei um jene historische Proklamation, die mit den Worten beginnt:

"Der Bundesrat hat die Oeffentlichkeit mit einem Truppenaufgebot überrascht. Eine mobile Reservearmee soll gebildet werden, um sie gegebenenfalls gegen die kämpfende Arbeiterschaft zu werfen."

Im Text dieser Proklamation lesen wir folgenden Passus: "Ein von den unterzeichneten Körperschaften bezeichneter Aktionsausschuss wird die entsprechenden Anträge vorbereiten." Diese knappe Erwähnung stellt eigentlich die rechtlich dürftige Geburtsurkunde des späteren "Oltener Aktionskomitees" dar. Grimm begründete die Notwendigkeit dieses Gremiums mit Bescheidenheit: "Der vorgesehene Aktionsausschuss soll ein Bindeglied darstellen zwischen Partei und Gewerkschaftsbund, der eine grössere Aktionsmöglichkeit besitzen wird als die leitenden Instanzen dieser beiden Körperschaften." Als Mitglieder werden drei Vertreter der Partei und vier Vertreter des Gewerkschaftsbundes eingesetzt. Gewählt wurden für die Partei: Robert Grimm, Friedrich Schneider und Rosa Bloch, für den Gewerkschaftsbund: Karl Dürr, Konrad Ilg, August Huggler und Franz Reichmann. Dieser Ausschuss konstituierte sich selbst. Es war deshalb keine Ueberraschung, als man anlässlich der ersten Sitzung des Aktionskomitees vom 7. Feburar 1918 in Bern Robert Grimm zum Präsidenten wählte und Karl Dürr zu seinem Sekretär.

Dass Grimm das Komitee nicht nur als Bindeglied zwischen Partei und Gewerkschaftsbund betrachtete, zeigte sich schon an der ersten Sitzung. Es wurde sofort klar, dass das Zivildienstproblem eher nebensächlich behandelt wurde. Das Komitee beschloss zwei Subkommissionen zu bilden. Die eine sollte eine Bestandesaufnahme der gesamten Forderungen der Arbeiterschaft erstellen und entsprechende Anträge formulieren. Die andere Subkommission beschäftigte sich mit der Art der möglichen Aktionen und mit dem Studium der Massnahmen zur Durchführung eines Generalstreiks. Da die Konferenz, die den Ausschuss einsetzte, in Olten stattfand, begann sich der Ausschuss selber "Oltener Aktionskomitee" zu nennen, obschon von den 31 belegten Sitzungen nur 6 in Olten abgehalten wurden.

Von den Geschäftsleitungen des Gewerkschaftsbundes und der Partei wurde der Ausschuss jedoch mit keinen Führungskompetenzen ausgestattet. Es war in der Folge nicht verwunderlich, dass es sehr rasch zu heftigen Kompentenzdiskussionen kam in den Geschäftsleitungen von Partei und Gewerkschaftsbund. Dem Oltener Aktionskomitee wurde nur die Funktion eines beratenden und Antrag stellenden Organs zugesprochen. "Eine Nebenregierung", wie es Ernst Nobs formulierte, "wollen wir nicht".

Erst am 1. Allgemeinen Arbeiterkongress, im Juli 1918, in Basel wurde das Aktionskomitee auch von der Arbeiterschaft bestätigt und mit dem Auftrag ausgestattet, zusammen mit dem Gewerkschaftsausschuss und der Geschäftsleitung der SPS einen eventuellen Landesstreik durchzuführen. Dem Oltener Aktionskomitee wurde vom Arbeiterkongress die Vollmacht erteilt, mit dem Bundesrat über die vom Kongress gestellten 11 Forderungen zu verhandeln und, wenn nötig, den Generalstreik auszulösen. Damit wurden das Gewicht und die Autorität der Exekutive der Arbeiterschaft erheblich erweitert und die Position des Oltener Aktionskomitees erheblich gestärkt.

Das Oltener Aktionskomitee entwickelte sich im Laufe der kommenden Wochen und Monate wie auch vor und während des Generalstreiks zu einem Führungsorgan der schweizerischen Arbeiterbewegung. Robert Grimm ging es darum, für die schweizerische Arbeiterbewegung eine einheitliche und geschlossene Führung zu erreichen, wie er sie bei der erfolgreichen Bauernpolitik unter der Leitung von Ernst Laur bewunderte. Nach Grimms eigenen Worten, die er erst nach dem Generalstreik in einer Broschüre festhielt, sollte der Ausschuss folgende Funktion erfüllen: "Die neue Instanz war die Vereinigung der gewerkschaftlichen und politischen Bewegung, die Zusammenfassung des Klassenkampfes unter einer einheitlichen Leitung."

Das Ende des Oltener Aktionskomitees

Durch die Beschlüsse des 2. Allgemeinen Arbeiterkongresses, der im Dezember 1918 in Bern stattfand, wurde das Oltener Aktionskomitee in "Zentrales Aktionskomitee" umbenannt. Das neue Zentrale Aktionskomitee entwickelte jedoch kaum Initiative und versank allmählich in der Untätigkeit. Unmissverständlich liess man das Zentrale Aktionskomitee wissen, dass man auf seine Dienste verzichten könne. Seine letzte Sitzung hielt das Komitee am 29. September 1919 ab. Das Haupttraktandum bildete die Diskussion um die Auflösung des Zentralen Aktionskomitees. Die Auflösung wurde jedoch abgelehnt. In der Folge trat das Komitee aber nie mehr zusammen. Willi Gautschi schreibt in seinem Buch über den Landesstreik:

"Die Exekutive der Arbeiterschaft verschwand auf illegitime Weise - wie sie entstanden war."

Ordnungsdienst der Armee

Die kritische Hinterfragung bleibt berechtigt

Die Aufarbeitung desThemas

1974: Rolf Blaser veröffentlicht die Ergebnisse seiner Seminararbeit

1988: Hans Ryf schildert die Grenchner Tragödie

1993: Rainer W. Walter hält objektive Rückschau

1998: Boris Banga und Hans Hartmann melden sich

R. Blaser u. A. Streiff bereichern mit ihren Folgerungen den Rückblick

Die 27 vom Kultur-Historischen Museum entwickelten Plakate der Sonderausstellung Generalstreik 1918 in Grenchen, vom 23. Oktober 2008 bis 11. Februar 2009

Generalstreik 1918 in Grenchen. Illustrierte Beschreibung der Ereignisse in Grenchen und Region

98 Seiten. Begleitheft zur Ausstellung des Kultur-Historischen Museums, 23. Okt. 2008 bis 11 Feb. 2009.

Juristische Folgen

Verordnung des Bundesrates vom 11. Nov. 1918 gegen die Gefährdung und Störung der inneren Sicherheit

Amtsgericht Solothurn-Lebern: Grenchner Streikprozess März 1919

Territorialgericht 4: Grenchner Streikprozess November 1919

Der Bund vom 9. Nov. 1919: Der Grenchner Streikprozess

Einvernahme Major Pelet (Schiessbefehl in Grenchen)

Einvernahme Hauptmann Hänggi, Kdt Landsturm Kompanie III/25

Beweisaufnahme Landsturm Kp III/25 & III/27

Einvernahme Ernst Bächler, Küchenchef der Volksküche Grenchen

Zeugeneinvernahme Gottfried Walter, Stationsvorstand Grenchen-Süd

Zeugeneinvernahme Rudolf Balsiger, Stationsgehülfe Grenchen-Nord

Polizei- und Untersuchungsberichte zu den Ereignissen in Grenchen

Max Rüdt: Der Streikführer in Grenchen

Max Rüdt - Kurzbiografie, Autoren über Max Rüdt

Max Rüdt - Auszug aus dem Begnadigungsgesuch an den Bundesrat vom 26. Dezember 1919

Fragen an Max Rüdt

Rüdt's "feige" Flucht

Ernst Hohl: Ein Augenzeuge berichtet

Nach dem Generalstreik 1918 in Grenchen

Die Bewältigung des Generalstreiks in Grenchen

Ein Bundesrat besucht Grenchen

Die Interpellation Schmid im Nationalrat

Die Generalstreik-Debatte im Solothurner Kantonsrat vom 15. und 16. Januar 1919

Die Generalstreik-Debatte im Solothurner Kantonsrat. Die Reden von Hermann Obrecht und Jacques Schmid in Volltext

Die zentrale Bedeutung der Eisenbahn / Die Ereignisse auf den Bahnhöfen Olten, Solothurn-West, Grenchen und Biel

Waren die Opfer vergebens: Eine Bilanz

Schilderung der Ereignisse in Grenchner Heimatbüchern

Dokumente und Fakten zum Generalstreik 1918 in Grenchen und in der Schweiz

Aufruf zum Proteststreik vom 9. Nov. 1918

Aufruf zum Generalstreik 1918

Bulletin/Flugblatt der Neuen Freien Zeitung vom 13. Nov. 1918

Aufruf an die Soldaten des Ordnungsdienstes der Armee

Telegramm vom 14. Nov. 1918 des Militärdep. Solothurn an das Territorialkommando 2

Abbruch des Schweizerischen Generalstreiks / Landesstreiks 1918

Bekanntmachung des Grenchner Gemeinderates vom 15. Nov. 1918

Todesanzeige der Arbeiterorganisationen für die drei Todesopfer

Proklamation vom 16. Nov. 1918 der bürgerlichen Gemeinderatsfraktionen

Kostenrechnung der Schäden auf dem Bahnhof Nord

Auszug aus dem Begnadigungsgesuch von Max Rüdt an den Bundesrat

Der verschwundene Gedenkstein

Darstellung der tragischen Ereignisse in den Grenchner Heimatbüchern

Generalstreikdebatte im Solothurner Kantonsrat: Die Reden von Hermann Obrecht und Jacques Schmid in Volltext

Der Generalstreik 1918 in Bern

Tatsachen zur sozialen Situation 1918

Aerztlicher Bericht von Dr. Ernst Grirard vom 15. Nov. 1918

Ungelöste Widersprüche rund um die Schussabgabe an der Solothurnstrasse

Vermutlich von Polizei-Leutnant Gribi gezeichneter Situationsplan der Schussabgabe Solothurnstrasse

Polizei- und Untersuchungsberichte zu den Ereignissen in Grenchen

Weiterführende Literatur

Dank

Nachwort zur Dokumentation

Einzelnachweis

  1. Rost und Grünspan - Schweizer Militärgeschichte neu belebt
  2. 2,0 2,1 "Der Soldatenerzieher", Coop-Zeitung Nr. 40/1999 ( PDF)
  3. Robert Grimm, Der Klassenkämpfer, Coop Zeitung 30/1999 ( PDF)
  4. Referenzfehler: Es ist ein ungültiger <ref>-Tag vorhanden: Für die Referenz namens Grimm wurde kein Text angegeben.

Quellen

  • Text von Alfred Fasnacht
  • Gautschi, Willi, Dokumente zum Landesstreik 1918. - 2. durchgesehene Auflage. - Zürich : Chronos, 1988. - 456 S., Broschiert. - ISBN: 3-905278-35-9
  • Lätt, Jean-Maurice, 120 Jahre Arbeiterbewegung des Kantons Solothurn: Für eine demokratische und solidarische Welt. - Zürich: Chronos, 1990.- 369 S. - ISBN: 3-905278-64-2
  • Kräuchi, Walter, Aufbruch in eine bessere Zeit : 75 Jahre Sozialdemokratische Partei des Kantons Solothurn, 1890-1965. - Solothurn, 1965. - 85 S.
  • Strub, Werner, Heimatbuch Grenchen : Die vergangenen Jahrhunderte bis in die Gegenwart. Solothurn: Vogt-Schild, 1949. 758 S.

Weblinks